Arzthaftung: Begriff, Grundlagen, Handlungssicherheit für Praxen
Begriff, Grundlagen und Prävention – damit Ihre Praxis haftungssicher behandelt
Kurzdefinition:
Arzthaftung bezeichnet die zivil- (und in Einzelfällen straf-)rechtliche Verantwortung von Ärzt:innen und anderen Heilberufen für Schäden im Zusammenhang mit der Behandlung. Ziel ist der Ausgleich von Vermögens- und immateriellen Schäden der Patientenseite; Leitplanken bilden insbesondere der Behandlungsvertrag (§§ 630a ff. BGB) und deliktische Ansprüche (§§ 823 ff. BGB).
1. Rechtlicher Rahmen: Vertrag, Delikt, Strafbarkeit
Behandlungsvertrag (§§ 630a ff. BGB):
Mit Aufnahme der Behandlung entsteht ein Vertrag mit Pflichten zur
sorgfaltsgemäßen Behandlung nach Facharztstandard,
Aufklärung,
Dokumentation und
Organisation.
Deliktische Haftung (§§ 823 ff. BGB):
Neben (oder ohne) Vertrag haftet der/die Behandelnde für
fahrlässige oder vorsätzliche Rechtsgutverletzungen (Gesundheit, Körper, Leben).
Strafrechtliche Schnittstellen:
Bei gravierenden Pflichtverstößen kommen
(fahrlässige) Körperverletzung (§§ 223, 229 StGB) oder – in Extremfällen –
Tötungsdelikte in Betracht.
2. Haftungsvoraussetzungen im Überblick
- Pflichtverletzung: Behandlungs-, Diagnose- oder Therapiefehler; Aufklärungsfehler; Dokumentationsmängel; Organisationsversagen.
- Verschulden: Regelmäßig Vorsatz/Fahrlässigkeit; bei groben Behandlungsfehlern greifen weitreichende Beweiserleichterungen.
- Schaden: Körperlich, vermögensbezogen (z. B. Erwerbsschaden, Pflege-/Behandlungskosten) und immateriell (Schmerzensgeld).
- Kausalität: Grundsätzlich von Patientenseite zu beweisen; Beweiserleichterungen u. a. bei grobem Behandlungsfehler oder Aufklärungsmängeln.
3. Typische Pflichtverletzungen – und wie Sie sie vermeiden
Behandlungsfehler: Abweichen vom aktuellen Facharztstandard.
Aufklärungsfehler: Unzureichende, verspätete oder nicht dokumentierte Aufklärung (Risiken, Alternativen, Off-Label, Folgen).
Dokumentationsfehler: Lücken/Nachträge ohne Kennzeichnung begünstigen Patientenseite.
Organisationsfehler: Mangelhafte Abläufe, Aufgabenverteilung, Supervision oder Geräte-/IT-Organisation.
Praxisregel: Standardisieren Sie Aufklärung, Dokumentation, Befund-/Rückrufmanagement und Delegation in SOPs – mit Schulungen, Verantwortlichkeitsmatrix und Audit-Zyklen.
4. Beweislast & Beweiserleichterungen
Grundsätzlich trägt die Patientenseite die Beweislast für Fehler, Schaden und Kausalität. Ausnahmen/Erleichterungen:
- Grobe Behandlungsfehler: Vermutung der Ursächlichkeit zugunsten der Patientenseite.
- Aufklärungsfehler: Ärzteseite muss ordnungsgemäße Aufklärung und wirksame Einwilligung beweisen.
- Dokumentationsmängel: Wirken zulasten der Behandlerseite.
5. Ansprüche und Verjährung
Schadensersatz (§ 249 BGB): Heil-/Pflegekosten, Erwerbsschaden, Mehrbedarf u. a.
Schmerzensgeld (§ 253 BGB): Höhe nach Art, Dauer, Intensität der Beeinträchtigung und Rechtsprechung.
Verjährung: Regelmäßig
3 Jahre ab Jahresende der Kenntnis (§§ 195, 199 BGB), absolute Höchstfristen sind zu beachten;
Hemmung u. a. bei Verhandlungen/Gutachterverfahren möglich.
6. Wer haftet? Klinik, Praxis und Team
Neben der/dem Behandelnden trifft Träger und Praxisinhaber eine Einstands-/Organisationsverantwortung (u. a. § 278 BGB). Fehler von angestellten Ärzt:innen, MFA oder weiteren Erfüllungsgehilfen werden zugerechnet. Ausnahmefälle bei ausdrücklich eigenverantwortlich hinzugezogenen Externen sind im Einzelfall zu prüfen.
7. Dokumentation & Einwilligung als Haftungsschutz
Dokumentation (§ 630f BGB): vollständig, zeitnah, manipulationssicher (Korrektur als
Nachtrag mit Datum/Grund).
Informierte Einwilligung (§ 630d BGB): rechtzeitig, verständlich, persönlich erteilt; umfasst Zweck, Art,
Risiken,
Alternativen und
Konsequenzen. Ohne wirksame Einwilligung ist ein Eingriff
rechtswidrig – auch bei fehlerfreier Durchführung.
8. 72-Stunden-Fahrplan bei Vorwürfen (Praxis-Checkliste)
- Akte sichern & Zugriff protokollieren (inkl. IT-Logs).
- Haftpflichtversicherer informieren (Deckung, Meldefristen).
- Sachverhaltsaufnahme: Teamstatement, Befund-/Bilder-/Labortrails.
- Kommunikation bündeln: eine Ansprechperson, keine Einzelabsprachen.
- Stellungnahme strukturiert erstellen (Timeline, Standard, Abweichungen begründen).
- Herausgabe Patientenakte rechtssicher organisieren (§ 630g BGB).
- CAPA-Maßnahmen (Corrective/Preventive Action) anstoßen und dokumentieren.
9. Prävention in der Praxis: 12 Punkte (Auszug)
- SOP Aufklärung (inkl. Sprach/Dolmetsch-Regelungen).
- SOP Befund-/Rückrufmanagement mit Eskalationsstufen.
- Delegationskatalog & Supervision.
- Medizinprodukte-/IT-Compliance (Betreiberpflichten, AV-Verträge, TOMs).
- Audits & Schulungen mit Nachweisen.
- Vorfall-Reporting (CIRS) und Lessons-Learned-Runden.
Häufige Fragen
Wer trägt die Beweislast?
Grundsätzlich die Patientenseite. Bei groben Behandlungsfehlern oder Aufklärungsdefiziten greifen Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr zulasten der Behandlerseite.
Welche Verjährungsfristen gelten?
Regelmäßig
3 Jahre ab Jahresende der Kenntnis (§§ 195, 199 BGB); absolute Höchstfristen können länger sein.
Hemmungstatbestände (z. B. Verhandlungen, Gutachtenverfahren) sind zu prüfen.
Welche Rolle spielt die Dokumentation?
Sie ist
Schlüsselbeweis. Lücken oder unklare Nachträge wirken regelmäßig zulasten der Behandlerseite.
Wie wichtig ist die Einwilligung?
Zentral. Ohne
informierte Einwilligung ist der Eingriff grundsätzlich
rechtswidrig – mit zivil- und ggf. strafrechtlichen Folgen.
Haftet das Krankenhaus für Fehler seiner Ärzte?
Ja, regelmäßig über
Erfüllungsgehilfenhaftung und
Organisationspflichten; Ausnahmen gelten bei ausdrücklich eigenverantwortlichen externen Behandlern.
Fazit
Arzthaftung ist ein organisations- und prozesssensibles Rechtsgebiet. Wer Standards schriftlich fixiert, schult, dokumentiert und Audits etabliert, reduziert Prozessrisiken deutlich – und stärkt zugleich die Behandlungsqualität.
Was arztpraxisrecht.de für Sie tun kann
- Schnell-Check Arzthaftung: kurze Risikoanalyse Ihrer Aufklärung, Dokumentation und Organisation – mit konkreten Next Steps.
- Vorlagen & SOPs: praxiserprobte Einwilligungen, Aufklärungsleitfäden, Befund-/Rückruf-SOP, Nachtragschema § 630f BGB.
- Akuthilfe im Haftungsfall: 72-Stunden-Fahrplan, Stellungnahmeentwurf, Abstimmung mit Versicherer/Schlichtungsstelle.
- Dauerhafte Absicherung: Anwalts-Abo (Light/Komfort/Premium) inkl. jährlichem Mini-Audit und Update Ihrer Unterlagen.
Hinweis: Diese Informationen ersetzen keine individuelle Rechtsberatung. Maßgeblich sind der Einzelfall und die aktuelle Rechtsprechung.










