Arbeitsrecht in der Arztpraxis: Die wichtigsten Grundlagen für Praxisinhaber und angestellte Ärzte
Als Praxisinhaber tragen Sie nicht nur medizinische Verantwortung, sondern auch arbeitsrechtliche. Das Arbeitsrecht ist umfangreich – wer die Kernregeln kennt, vermeidet teure Fehler und sorgt für ein rechtssicheres Praxismanagement. Nachfolgend erhalten Sie einen kompakten Überblick über alle Themen, die in der Arztpraxis regelmäßig relevant werden.
1) Stellenausschreibungen & AGG: So formulieren Sie rechtssicher
Stellenanzeigen müssen nach dem
Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) diskriminierungsfrei sein. Unzulässig ist jede Benachteiligung etwa wegen
Geschlecht, ethnischer Herkunft, Religion/Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexueller Identität.
Praxis-Tipp: Verwenden Sie genderneutrale Berufsbezeichnungen (m/w/d), verzichten Sie auf Altersvorgaben und formulieren Sie Anforderungsprofile ausschließlich tätigkeitsbezogen. Einen Leitfaden und Formulierungsbausteine finden Sie in unserem Beitrag
„Stellenanzeigen rechtssicher gestalten“.
2) Arbeitsvertrag & Befristung: Was in der Praxis zählt
Arbeitsverträge sollten klar, vollständig und praxistauglich sein – insbesondere zu Tätigkeit, Arbeitszeitmodellen, Vergütung, Ruf-/Bereitschaftsdiensten, Fortbildung, Datenschutz/IT, Nebentätigkeiten, Verschwiegenheit und Wettbewerbsverboten.
Befristung: Eine sachgrundlose Befristung ist
bis zu zwei Jahren möglich (mit zulässigen Verlängerungen innerhalb dieses Rahmens).
Längere Befristungen verlangen einen
Sachgrund (z. B. Vertretung, Projekt).
Tarifbindung: Praxisinhaber können sich entscheiden, den
MFA-Tarifvertrag anzuwenden. Er enthält u. a. spezielle Regelungen zu
Urlaub, Vergütung, Eingruppierung, Sonderzahlungen und Kündigungsfristen.
Praxis-Tipp: Achten Sie auf eine wirksame Schriftformklausel, klare Regelungen zu variablem Entgelt/Bonus, Arbeitszeitkonten sowie Fortbildungsbudgets. Für MVZ empfehlen sich Zusatzbausteine (z. B. Regelungen zu Medizinprodukten/IT-Dokumentation, Qualitätsmanagement, Supervision/Delegation).
3) Arbeitszeit & Arbeitsschutz: Grenzen kennen, Pflichten erfüllen
Das
Arbeitszeitgesetz begrenzt die tägliche Arbeitszeit grundsätzlich auf
8 Stunden (Montag–Samstag). Eine
Verlängerung auf bis zu 10 Stunden ist zulässig, wenn innerhalb von
6 Monaten im Durchschnitt 8 Stunden nicht überschritten werden.
Pausen: Bei 6–9 Stunden Arbeitszeit mindestens
30 Minuten, darüber
45 Minuten.
Ruhezeit: Nach Dienstende sind
mindestens 11 Stunden einzuhalten.
Arbeitsschutz in der Praxis stützt sich insbesondere auf
Arbeitsschutzgesetz,
Gefahrstoff- und Biostoffverordnung,
Arbeitsstättenverordnung,
Betriebssicherheitsverordnung sowie
Strahlenschutzgesetz/-verordnung.
Aushangpflichtige Gesetze müssen für alle Mitarbeitenden zugänglich ausliegen. Das wird im Rahmen von
Praxisbegehungen kontrolliert.
Gefährdungsbeurteilung: Arbeitgeber sind verpflichtet, Gefährdungen zu ermitteln, technische, organisatorische und personenbezogene Schutzmaßnahmen (TOM) festzulegen, Unterweisungen durchzuführen und die Beurteilung laufend fortzuschreiben.
Praxis-Tipp: Halten Sie Notfallpläne (z. B. für Reanimation, Nadelstichverletzungen, Gefahrstoffaustritte) und Unterweisungsnachweise aktuell. Organisieren Sie die sicherheitstechnische und betriebsärztliche Betreuung strukturiert (z. B. ASA-Sitzungen protokollieren).
4) Urlaub: Mindeststandards und Hinweispflichten
Nach dem Bundesurlaubsgesetz beträgt der Mindesturlaub 24 Werktage (Mo–Sa) bzw. 20 Arbeitstage (Mo–Fr) bei Vollzeit. Tarif- oder Arbeitsvertrag können mehr gewähren, aber nicht weniger.
Wichtig: Nicht genommener Urlaub verfällt nur, wenn der Arbeitgeber rechtzeitig, transparent und nachweisbar auf den drohenden Verfall hinweist und die Urlaubsgewährung tatsächlich ermöglicht (Planungsangebote).
Praxis-Tipp: Hinterlegen Sie standardisierte Hinweisschreiben im HR-Prozess und dokumentieren Sie die Urlaubsangebote. Für Teilzeit- und wechselnde Arbeitszeitmodelle berechnen Sie den Anspruch pro rata temporis sauber.
5) Krankheit & Kinderkrankengeld: Was zu beachten ist
Bei Arbeitsunfähigkeit besteht ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung bis zu 6 Wochen. Danach greift das Krankengeld der gesetzlichen Krankenkasse. Mitarbeitende müssen die Praxis unverzüglich informieren, Dauer prognostizieren und eine AU vorlegen – nach Gesetz spätestens am 4. Tag; arbeitsvertraglich kann eine frühere Vorlage vereinbart werden (z. B. ab dem 1. Tag).
Kinderkrankentage: Gesetzlich Versicherte haben einen Anspruch auf Freistellung und Kinderkrankengeld. Die Kontingente wurden in den letzten Jahren mehrfach angepasst (u. a. Erhöhungen pro Kind und Jahr; für Alleinerziehende höhere Kontingente). Prüfen Sie stets den aktuellen Stand und regeln Sie die Nachweispflichten vertraglich.
Praxis-Tipp: Definieren Sie im Vertrag Meldewege (Telefon/E-Mail/Tool), Zeitpunkte und Nachweise (AU, ärztliche Bescheinigung für Kinderkrankentage). Nutzen Sie Checklisten für die Lohnfortzahlung/Krankengeld-Übergabe.
6) Mutterschutz & Elternzeit: Beschäftigungsverbote richtig umsetzen
Der Mutterschutz schützt werdende und frisch gebackene Mütter in der Zeit 6 Wochen vor bis 8 Wochen nach der Geburt (bei besonderen Fällen verlängert). Nach der Geburt besteht in der Regel ein Beschäftigungsverbot; tätigkeitsbezogene Verbote greifen schon vorher (z. B. Umgang mit bestimmten Chemikalien/Biostoffen, Tätigkeiten mit Strahlenexposition).
Arbeitszeitgrenzen: Beschäftigung an Sonn-/Feiertagen und zwischen 20 und 6 Uhr ist nur ausnahmsweise und mit Zustimmung zulässig. Elternzeit ist bis zur Vollendung des 3. Lebensjahres möglich; Teilzeit während der Elternzeit kann vereinbart werden.
Praxis-Tipp: Prüfen Sie frühzeitig Gefährdungsbeurteilung „Schwangere/Stillende“, dokumentieren Sie Umsetzungen, Schonarbeitsplätze und Unterweisungen. Planen Sie den Wiedereinstieg mit flexiblem Teilzeit-/Dienstplan-Modell.
7) Abmahnung & Kündigung: Formalien entscheiden
Es gibt
ordentliche und
außerordentliche Kündigungen. Vor jeder ordentlichen Kündigung steht die Frage:
Findet das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) Anwendung? Dazu sind
Betriebsgröße und
Betriebszugehörigkeit sorgfältig zu prüfen.
Kündigungsfristen ergeben sich aus
BGB,
Tarifvertrag oder
Arbeitsvertrag.
Abmahnung: Oft ist sie Voraussetzung für eine verhaltensbedingte Kündigung. Sie muss konkret, schriftlich, rüge- und warnfunktionstauglich formuliert sein.
Zeugnis & Bescheinigungen: Beim Ausscheiden sind
Arbeitszeugnis sowie
Urlaubs-/Resturlaubsbescheinigung zu erteilen.
Vertragsarztrecht: Betrifft die Beendigung eine
genehmigte Anstellung oder einen
Vertragsarztsitz, sind
Meldungen an den Zulassungsausschuss fristgerecht vorzunehmen (z. B. Anzeige der Beendigung; ggf.
Antrag auf Nachbesetzung).
Praxis-Tipp: Nutzen Sie Muster für Abmahnung und Kündigung, führen Sie Anhörungen/Personalgespräche protokolliert und prüfen Sie Sonderkündigungsschutz (z. B. Schwangerschaft, Schwerbehinderung, Elternzeit).
8) Weisungsrecht & Delegation: Unterschiede zwischen MFA und Ärzten
Fehlen im Arbeitsvertrag feste Angaben zu Arbeitsort, Arbeitszeit und Tätigkeit, kann der Arbeitgeber diese im billigen Ermessen konkretisieren (z. B. Einsatz in einer Zweigpraxis).
MFA: Ärztinnen/Ärzte haben ein
fachliches Weisungsrecht, müssen bei Delegation medizinischer Tätigkeiten eine
ordnungsgemäße Anleitung und Überwachung sicherstellen.
Angestellte Ärzte: Bei der
Heilbehandlung besteht
fachliche Weisungsfreiheit; zulässig sind dagegen organisatorische Weisungen (z. B. Umgang mit Personal/Arbeitsmitteln), soweit die
Freiberuflichkeit nicht berührt wird.
Praxis-Tipp: Legen Sie Delegationskataloge, Kompetenzprofile und Supervisionsregeln fest. Das reduziert Haftungsrisiken und schafft Klarheit im Team.
9) Haftung & Versicherung: Risiken richtig verteilen
Praxisinhaber haften für Fehler ihrer Mitarbeitenden (Arbeitgeberhaftung). Im Innenverhältnis gilt die beschränkte Arbeitnehmerhaftung: Je nach Verschuldensgrad (leicht, normal, grob fahrlässig/vorsätzlich) ist eine anteilige oder volle Haftung denkbar. In der Praxis ist der Regress gegenüber MFA aufgrund der Schadenshöhe oft begrenzt sinnvoll.
Berufshaftpflicht: Ärztinnen und Ärzte sind zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung verpflichtet. Prüfen Sie Deckungssummen, Mitversicherung delegierter Leistungen, IT-/Datenschutz-Risiken (z. B. Telemedizin, ePA-Schnittstellen).
Praxis-Tipp: Etablieren Sie ein Fehlermanagement (CIRS), dokumentieren Sie Unterweisungen/Prozesse und schulen Sie Team und Ärztinnen/Ärzte regelmäßig – das senkt das Haftungsrisiko spürbar.
10) Organisation & Compliance: Begehungssicher aufgestellt
- Betriebsarzt & Fachkraft für Arbeitssicherheit einbinden (Regelbetreuung, ASA-Sitzungen).
- Unterweisungen (jährlich, anlassbezogen) dokumentieren.
- Notfall-/Alarm-/Evakuierungspläne aktuell halten.
- Aushangpflichtige Gesetze bereitstellen (digital oder gedruckt, leicht zugänglich).
- Datenschutz & IT-Sicherheit (Zugriffskonzepte, TOM, Verarbeitungsverzeichnis) regelmäßig prüfen.
Vorlagen & Muster für die Arztpraxis
Wir stellen für Mandantinnen und Mandanten
juristisch geprüfte Muster bereit, u. a. für
Arbeitsverträge (Arzt in Weiterbildung, angestellter Arzt im MVZ, MFA – auch Mini/Midijob, Physician Assistant, Praktikant, Praxismanager, Werkstudent, Sicherstellungsassistent), Änderungsverträge, Aufhebungsverträge sowie
Checklisten (Urlaub/Krankheit, Gefährdungsbeurteilung, Notfallplan).
Hinweis: Sprechen Sie uns an – wir passen die Vorlagen
individuell auf Ihre Praxis an.
Fazit: Mit System zu rechtssicherer Personalarbeit
Wer AGG-konforme Recruitingprozesse, klare Verträge, saubere Arbeitszeit-/Arbeitsschutz-Organisation, transparente Urlaubs-/Krankheitsabläufe und strukturierte Compliance etabliert, reduziert Rechtsrisiken und schafft ein stabiles Fundament für die Patientenversorgung.
Wie wir Sie unterstützen:
Wir beraten Praxisinhaber, BAGs und MVZ
schnell, digital und lösungsorientiert – von der
Stellenausschreibung über den
Arbeitsvertrag bis zur
Kündigung. Auf Wunsch übernehmen wir die
komplette arbeitsrechtliche Praxis-Compliance inkl. Vorlagen, Schulungen und Audit-Vorbereitung.
Hinweis: Dieser Beitrag ersetzt keine Rechtsberatung. Trotz sorgfältiger Erstellung können wir keine Gewähr für Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität übernehmen. Für Ihren konkreten Fall beraten wir Sie gerne individuell.










